09.02.1963 – Erstflug der Boeing 727 

Vor sechzig Jahren machte die Boeing 727 ihren Erstflug. Ein Rückblick Text: Ralf Drews - Fotos: Ralf Drews, Dietrich Eggert

Die europäische Konkurrenz hat die Nase weit vorn

Boeing hatte gegen Ende der 1950er Jahre bereits genug Kunden und Bestellungen  für ihre Boeing 707 – doch auf dem Markt für Kurz- und Mittelstreckenmaschinen hatte der französische Hersteller Sud Aviation mit dem ersten Prototypen der „Caravelle“ die Nase schon sehr weit vorn, in England stand die „Trident“ von Hawker Siddeley vor dem Erstflug. Boeing konnte – und wollte – dieses Marktsegment nicht der Konkurrenz überlassen.

Am 6.Mai 1958 wurde bei Boeing das Projekt „727“ gestartet; zwei Tage später begann ein Team um den Chefkonstrukteur Jack Steiner mit der Entwicklung für eine Kurz- und Mittelstreckenmaschine für etwa 65 Passagiere, die mit zwei oder vier Triebwerken ausgestattet werden sollte und nicht zu teuer – dazu noch ohne Vorstellungen über die Größe dieses neuen Flugzeugs, seine Triebwerke und auch ohne eine brauchbare Marktanalyse. William Patterson, Präsident von United Airlines, bevorzugte vier Triebwerke, Trans World Airlines wollte ein dreimotoriges Flugzeug – die Diskussion um die Anzahl der Triebwerke sollte noch monatelang anhalten.

Aufgrund eines erwarteten Verlusts von 200 Millionen Dollar im Jahr 1959 durch das 707-Programm schlug die Buchhaltungsabteilung von Boeing eine „zweimotorige 707“ zum Preis von 2,1 Millionen Dollar vor.

Obwohl Steiners Team viele Teile der 707 in das neue Flugzeug einbaute, betrug der Preis für eine technisch bessere Variante 3,5 Millionen Dollar – der Preis einer Boeing 720, einem viermotorigen Mittelstreckenflugzeug, das aus der gerade eingeführten 707 entwickelt worden war und sich ebenfalls in der beginnenden Produktion befand.  Die Boeing 727 wurde somit zu einem Konkurrenten für Boeings eigene Produkte, bevor sie in eine ernsthafte Produktionsphase eingetreten war. Hinzu kam, dass weder General Electric noch Pratt & Whitney über ausreichend starke Triebwerke verfügten, die eine zweimotorige Boeing 727 hätten antreiben konnten. Boeing musste wieder auf eine viermotorige Variante umsteigen, die mit den bereits verfügbaren Triebwerken von Pratt & Whitney ausgestattet war.  

Als Douglas Commercial ankündigte, ihre neue DC-8 mit denselben Triebwerken von Pratt & Whitney auszustatten, war man bei Boeing war kurz davor, das Projekt abzubrechen – doch nachdem United Airlines am 2. Juni 1959 eine Mitteilung über den Kauf ihres neuen  Mittelstreckenjets veröffentlichte, wurde die 727 von Boeing offiziell gestartet.

Die Diskussion um die Anzahl der Triebwerke endete im Sommer 1959, als man nach eingehender Analyse die dreimotorige Variante als die effizienteste Lösung ansah, zumal Eastern Airlines eine dreimotorige Maschine für sichere Starts und Landungen auf der kurzen Startbahn in New York / LaGuardia forderte.

 

Boeing braucht 100 Bestellungen - aber ohne britische Triebwerke

Inzwischen hatte das Team fünfundsechzig verschiedene Designs untersucht, das resultierende Layout kam dem britischen Modell „Trident“ nahe – nur wenig vergrößert, mit mehr Reichweite und einem Preis von 3,8 Millionen US-Dollar, angetrieben von Rolls-Royce-Motoren. Boeing benötigte 100 Bestellungen, um mit der Produktion zu beginnen, als Eastern Airlines drohte, dieses Flugzeug auf keinen Fall zu kaufen, sollte es mit Rolls-Royce-Triebwerken ausgestattet sein. Bei United sah man das ebenso und lehnte die britischen Motoren zugunsten der schwereren und teureren Pratt & Whitney-Motoren ab.

Nach der Bestellung von jeweils 40 Exemplaren durch Eastern und United am 30. November 1960 wurde der Entwurf noch einmal überarbeitet. 

Ergebnis war ein etwa 40 Meter langes dreimotoriges Verkehrsflugzeug mit zwei am Heck montierten Triebwerken (ausgestattet mit Schubumkehr) und einem dritten Motor an der Unterseite des Höhenleitwerks. Diese Anordnung ermöglichte es Boeing, das Flugzeug mit einem eher kurzbeinigen Fahrwerk und einer Hecktreppe unter dem T-Leitwerk auszustatten. Die völlig neu entwickelten Tragflächen mit 32 Metern Spannweite verfügten über dreifach geschlitzte Klappen, die schnelle Sinkflüge oder Landungen auf kurzen Landebahnen mit niedrigen Landegeschwindigkeiten ermöglichten. 

Die Produktion läuft an und die ersten Bestellungen kommen

Mit den Aufträgen von United und Eastern begann Boeing sofort mit der Produktion des neuen Jets, der gegenüber den bestehenden Propellerflugzeugen und frühen Jet-Flugzeugen wie der Comet viele Vorteile bot.

Erster ausländischer Kunde der Boeing 727 war die Lufthansa mit einem Auftrag über die Lieferung von 12 Exemplaren ab 1964. American Airlines bestellte 22 Exemplare, kurz darauf folgte TWA.

Von dem Moment an, als die Entscheidung zum Bau der 727 getroffen wurde, arbeiteten Steiner und sein Team hart und effizient an der Fertigstellung des Prototyps, der im Oktober 1962 vorgestellt wurde. Hunderte von Flugstunden wurden mit dem „Dash Eighty“-Prototyp absolviert, der 1962 als Prüfstand für die Triebwerke und die Klappen diente – und dieses Flugzeug zum ersten Mal seit dem 15. Juli 1954 wieder nach Renton brachte. Boeing investierte 30 Millionen US-Dollar in die Entwicklung der B727: Das Fahrwerk wurde in mehr als 110.000 simulierten Flügen beansprucht und die Struktur wurde vierundsiebzig verschiedenen Stresstests unterzogen. Als die erste Boeing 727 (s/n 18293) mit der Registrierung N7001U am 27. November 1962 in Renton aus der Halle gerollt wurde, hatte sie bis dahin einhundertfünfzig Änderungen erfahren.

Der Erstflug fand am 9. Februar 1963 mit Boeings Testpilot Lew Wallick am Steuer statt. Die Boeing 727 war von Anfang an ein perfektes Flugzeug und mit einer vorläufigen Registrierung absolvierte der Prototyp ohne Verzögerung oder technische Probleme eine 130.000 km lange Weltreise in 26 Länder, bei der Boeing-Führungskräfte potenziellen Kunden auf allen Kontinenten ihr neuestes Produkt vorstellten.

Kurz nachdem die FAA am 23. Dezember 1963 das Lufttüchtigkeitszeugnis für diesen Typ ausgestellt hatte, nahmen United und Eastern Airlines Anfang 1964 ihren Dienst mit dem neuen Typ auf, wenige Monate später folgten schnell American Airlines und Trans World Airlines. Die ersten sechs Maschinen waren bereits in 1963 an ihre Kunden ausgeliefert, wurden aber im Crewtraining verwendet, so dass man ab Anfang 1964 den Betrieb aufnehmen konnte.

1964 begannen die Auslieferungen unter anderem an American Airlines, Lufthansa und TWA. Die Zahl der ausgelieferten Maschinen stieg von Jahr zu Jahr: 1965, drei Jahre nach ihrer Einführung, hatte Boeing mehr als 200 Boeing 727 verkauft und die Zahl der Auslieferungen erreichte ihren Höhepunkt im Jahre 1968, als 160 Exemplare an die Kunden gingen. 1971 übertraf die Produktion die Stückzahlen der Boeing 707, die seit 1957 produziert wurde. Die magische Zahl von 1000 produzierten Exemplaren wurde am 18. Dezember 1973 erreicht, als die 1000. Boeing 727 ihren Erstflug absolvierte. Trotz der geringen Bestellmenge von nur 50 Exemplaren im Jahr 1975 erreichte Boeings meistverkauftes Flugzeug im Juni 1975 die Marke von 1500 produzierten Exemplaren.

1967: Boeing 727-200

1965 brachte Boeing die um sechs Meter verlängerte Serie 200 auf den Markt, deren Erstflug am 27.07.1967 stattfand. Northeast Airlines übernahm diese Maschine im Dezember 1967. Die neue Version bot jetzt bis zu 189 Passagieren Platz und hatte eine Reichweite von 4000 km. Die Produktion der „kurzen“ Serie 100 endete nach 571 Exemplaren im Jahre 1971.  

Die gestiegenen Treibstoffkosten in den 1970er Jahren und die Einführung des Airbus A300B im Jahr 1974 zwangen Boeing zum Handeln, hatte jedoch ausser dem verbesserten Boeing 727-200 Advanced-Modell nichts entgegenzusetzen, Eine vorgeschlagene zweimotorige Boeing 727 wurde aufgrund der hohen Entwicklungskosten zu Gunsten der Boeing 757 schnell aufgegeben. Boeing kündigte drauf hin das Ende der Produktion im Sommer 1984 an.

Die Geschichte der Boeing 727 endete nach 22 Jahren in der Produktion, als das letzte Exemplar (N217FE) am 22. September 1984 an Federal Express ausgeliefert wurde.


Viele Boeing 727 flogen bei ihren ursprünglichen Kunden noch bis in die bis Mitte der 1990er Jahre. Treibstoffkosten und Lärmschutz sorgten für ein langsames Ende der Boeing 727, die durch moderne Typen von Airbus oder Boeing ersetzt wurden.Einige dieser Exemplare begannen bei Charterfluggesellschaften ein neues Leben, andere wurden in eine reine Frachtkonfiguration für den Frachtbetrieb mit FedEx oder DHL umgewandelt – nicht zu vergessen die VIP- oder Regierungs- maschinen.

Der letzte europäische Betrieb der Boeing 727 endete 2005/2006, als die spanische Fluggesellschaft Swiftair ihr letztes Exemplar ausmusterte. Am 2. März 2016 absolvierte der Boeing 727-Prototyp (sn 18293 / ln 1) seinen letzten Flug und wurde zum Boeing Museum of Flight überführt. In den United-Farben der 1960er Jahre lackiert und mit der Originalregistrierung N7001U versehen, wird es vorübergehend im Airpark des Museums ausgestellt.

Die meisten der 1832 gebauten Boeing 727 existieren nicht mehr – heute (Stand Juli 2023) sind noch circa 70 Maschinen als „aktiv“ gemeldet.

error: Content is protected !!